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Die islamisierten Armenier

Istanbul - Anfang November, hielt die Hrant Dink Stiftung eine Konferenz zum Thema “islamisierte Armenier” an der Bosporus-Universität in Istanbul ab und brach damit ein Tabu mehr in der Türkei. Islamisierte Armenier waren bisher eine verborgene Wirklichkeit, ein Geheimnis das vielen bekannt ist, aber nicht jedem offenbart werden konnte, hinter verschlossenen Türen geflüstert wurde, in Geheimdienstkreisen gehandelt und schließlich frei in der Öffentlichkeit bekannt wurde.

Der verstorbene Hrant Dink wäre begeistert gewesen zu sehen, dass diese Konferenz Realität wurde, acht Jahre nach der ersten Konferenz an der Istanbul Bilgi Universität zum Thema “Armenier während des späten Osmanischen Reiches und der Ereignisse von 1915″. Damals schleuderten Demonstranten Beleidigungen gegen die Konferenzteilnehmer und Minister und bezeichneten sie als Verräter, die den Türken in den Rücken fallen. Mit dieser Konferenz wurde auch ein Tabu gebrochen, aber Hrant war schon ein bekannter Mann für die Identität der berühmtesten islamisierten Armenierin – Sabiha Gökcen, Atatürks Adoptivtochter, die erste weibliche türkische Kampfpilotin, die ein armenisches Waisenkind, namens Hatun Sebilciyan war.

Es ist eine bekannte Tatsache, dass im Jahr 1915 Zehntausende von armenischen Waisenkindern zwangsislamisiert und turkisiert wurden, dass Zehntausende von armenischen Mädchen und jungen Frauen von Kurden und Türken als Sklavinnen, Zimmermädchen, oder Ehefrauen gehalten wurden und dass Zehntausende Armenier zum Islam zwangskonvertiert wurden, um Deportationen und Massakern zu entkommen, und dass Zehntausende Armenier Zuflucht in kurdischen und alevitischen Dörfern fanden, aber ihre Identität verloren haben. Was geschah mit diesen überlebenden Opfern des Völkermordes von 1915? Hrant war besessen von ihnen, er sagte: “Wir reden immer über diejenigen, die im Jahr 1915 vernichtet wurden. Lassen Sie uns über diejenigen reden, die geblieben sind.”

Diese verbliebenen Menschen erlebten und überlebten die Hölle. Bemerkenswert sind nun ihre Kinder und Enkelkinder, die ihre armenischen Wurzeln nicht mehr verstecken. Eine der ersten war die berühmte türkische Anwältin Fethiye Cetin, die angab, dass ihre Großmutter Armenierin war, in ihrem Buch “Meine Großmutter“. Jenes wurde von einem anderen Buch von Aysegul Altinay und Fethiye Cetin bearbeitet und betitelt als “Die Enkelkinder“, das von Dutzenden türkischen und kurdischen Menschen handelt, die ihre armenischen Wurzeln beschreiben, ohne ihre wahre Identität preiszugeben. Dann kam der Wiederaufbau der Surp Giragos armenischen Kirche in Diyarbakir / Dikranagerd, die zum Treffpunkt für viele Armenier, die ihre Wurzeln verheimlicht haben, in Ostanatolien wurde. Im Schnitt besuchen über hundert Menschen die Kirche täglich, die meisten von ihnen sind Armenier. Einige kommen um zu beten, andere, um getauft oder verheiratet zu werden, aber die meisten besuchen sie nur um das Gefühl armenisch zu sein zu erleben, ohne Rückkonvertierung zum Christentum.

Dies hat eine neue Identität von muslimischen Armeniern, neben der historischen und traditionellen Identität der christlichen Armenier kreiert. In einem Land, wo es nur muslimischen Türken erlaubt ist, für die Regierung zu arbeiten und sie zu stellen, in der das Nicht-muslimisch sein ausreicht, als Entschuldigung für Verfolgung, Belästigung und Angriffe, bei denen das Wort Armenier als die größte Beleidigung gilt, bedarf es wirklichen Mut jemanden zu zeigen, dass er jetzt armenisch und nicht mehr ein Türke / Kurde / Muslim ist. Die Menschen können einfach ihren Job verlieren, oder ihren Lebensunterhalt, sogar ihr Leben für eine Änderung ihrer Identität. Als Beispiel für das Ausmaß an Rassismus und Diskriminierung in diesem Land sei erwähnt, dass ein ultra- nationalistisches Oppositions-Parlamentsmitglied vor Jahren den türkischen Präsidenten Abdullah Gül beschuldigt hatte, armenische Wurzeln in seiner Familie zu haben. Gül verklagte sie wegen Verleumdung, und die Gerichte verurteilten sie dazu eine Entschädigung für eine solche Beleidigung zu zahlen.

Es ist schwierig, die Anzahl der islamisierten Armenier in der Türkei zu schätzen, und noch schwieriger ist es vorherzusagen, welcher Teil von ihnen über armenische Wurzeln verfügt, oder wie viele dazu bereit sind, ihre armenische Identität wiederzuerlangen. Basierend auf unabhängige Studien des Völkermords von 1915 kann man schließen, dass mehr als 100.000 Waisen zwangsislamisiert und turkisiert wurden, und dass weitere 200.000 Armenier zum Islam konvertierten oder auf der Suche nach Schutz in kurdischen und alevitischen, freundlich gesinnten Regionen den Genozid überlebt haben. Es ist daher denkbar, dass 300.000 armenische Seelen als Muslime überlebt haben. Die Bevölkerung der Türkei hat sich seitdem versieben-facht, wenn man extrapoliert, ergibt sich daraus, dass es möglicherweise zwei Millionen Menschen mit armenischen Wurzeln in der heutigen Türkei gibt: die Überlebenden des Genozides  von 1915. Es gab sogar weit verbreitete Übertritte zum Islam, während der Massaker von 1894 bis 1896, als ganze Dörfer zwangsislamisiert wurden. Ein paar Jahrhunderte zuvor, wurden bereits Hamshen Armenier im Nordosten Anatoliens islamisiert. Die muslimischen Hamshentsis, deren Anzahl etwa 500.000 Menschen entspricht, sprechen einen Dialekt, basierend auf dem Armenischen, aber bis jetzt haben sie sich noch nie selbst als Armenier identifiziert. Wenn man all diese Zwangsbekehrungen vor und während 1915 hinzufügt, kann man schließen, dass die Anzahl der Menschen mit armenischen Wurzeln in der heutigen Türkei mehrere Millionen erreicht hat. Die Zahlen sind schwierig, genau zu schätzen, aber auf jeden Fall übersteigt diese Zahl die vorliegende Bevölkerung des heutigen Armenien.

Die Realität ist, dass das Geheimnis armenischer Wurzeln, drei oder vier Generationen nach 1915 nun laut Enthüllungen neuer Identitäten laut werden. Wie aus der jüngsten Konferenz hervorgeht, haben sogar Hamshen Armenier mit der Erforschung und Wiedergewinnung ihrer alten Wurzeln begonnen. Bei der Rekonstruktion der Surp Giragos Kirche und auf Reisen durch Ost- und Südostanatolien, hatte einer von drei Kurden, die befragt wurden, eine armenische Großmutter in der Familie. Diese Tatsache, die bis vor kurzem verborgen war, zeigt jetzt offen, dass häufig die junge Generation ihre armenische Identität zurückzugewinnen versucht, aber ohne den Islam aufzugeben. Eine interessante Beobachtung ist, dass die sich nicht offiziell offenbarenden Armenier alle untereinander heiraten, und viele Paare feststellten, dass beide Eltern der Paare armenische Wurzeln besitzen.

Eine der dramatischsten Präsentationen war jene über Sara, ein 15 -jähriges armenisches Mädchen aus Urfa Viranshehir, die von dem türkischen Machthaber der Region, Eyup Aga gefangen genommen wurde. Eyup wollte Sara als seine dritte Frau nehmen. Als Sara sich weigerte, tötete Eyup ihre Mutter. Als Sara sich dann erneut weigerte, tötete Eyup ihren Vater. Als Eyup drohte, Saras kleinen Bruder zu töten, konnte Sara nicht mehr widerstehen und heiratete den Mörder ihrer Eltern, unter der Bedingung, dass ihrem Bruder die Ermordung erspart bleibt und sie ihren Namen behalten darf. Aber ihr Bruder wurde schließlich auch getötet. Als sie Eyups Avancen widerstanden hatte, wurde sie immer wieder vergewaltigt, und war 15 Mal schwanger, und gebar 15 Babys, die alle vorzeitig starben. Eyup folterte sie ständig, und schnitt ein Kreuz in ihren Körper mit einem Messer. Seine Familie misshandelte sie ebenso und betrachtete sie als Ausgestoßene, und bescherte ihr bis zum Ende ein höllisches Leben. Am Ende der Geschichte, sagte die Moderatorin, eine türkische Akademikerin, dass Eyup und die Familie, die diese Verbrechen gegen Sara begangen haben, die eigene Familie der Akademikerin waren. Ihre letzte Aussage war sogar noch dramatischer als die Geschichte: “Wir hören immer nur die Geschichten der Opfer . Es ist nun an der Zeit für die Täter darüber zu sprechen.”

Es gibt neue Enthüllungen darüber, wie die türkische Regierung islamisierte Armenier registriert hat. Offenbar registrierte die Regierung durch Aufzeichnungen jedes armenische Dorf oder jeden großen armenischen Clan, welche zwangsweise im Jahr 1915 islamisiert wurden und den Holocaust überlebt hatten. Es wurde vor kurzem entdeckt, dass die Ausweise von anonymen aber auch bekannten Armeniern in einem speziellen Nummernsystem erfasst wurden, um sie heimlich zu identifizieren. Es gibt Anekdoten darüber, dass Kandidaten für Positionen in der türkischen Luftwaffe abgewiesen wurden, obwohl sie die strengen Tests bestanden hatten, wenn die Regierung Aufzeichnungen zeigte, aus denen hervorging, dass sie von islamisierten armenischen Familien abstammen.

Es ist noch von größerer Bedeutung für uns, wie die islamisierten Armenier von christlichen Armeniern behandelt werden. Es scheint, dass die armenische Gemeinde in Istanbul und, noch kritischer, das armenische Patriarchat in Istanbul nicht in der Lage oder nicht willens ist, die islamisierten Armenier zu akzeptieren, es sei denn, diese Menschen akzeptieren das Christentum und hegen den Wunsch getauft zu werden und bereit sind armenisch zu lernen. Aber es ist unrealistisch zu erwarten, dass die neuen Armenier, diese Anforderungen erfüllen.

Seit Armenier in der Türkei alle über die armenische Kirche definiert wurden, werden die Neulinge durch das Patriarchat abgelehnt, sie sind doppelte Außenseiter, nicht nur für ihre bisherige muslimische, türkische / kurdische Gemeinschaft, sondern auch für die armenische Gemeinde, da sie nicht armenisch heiraten können, getauft, oder von der Kirche begraben werden, und ihre Kinder nicht in armenische Schulen schicken können.

Nach Armenien, Karabach und der armenischen Diaspora, gibt es jetzt eine aufstrebende vierte armenische Welt – die islamisierten Armenier in der Türkei. Das ist eine Realität aus den Folgen des armenischen Genozides von 1915.

                           Quelle für diesen Artikel: Armenian Weekly


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